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Kurz bevor das Heavy Petting Zoo rauskommt. Eigentlich geben No FX der hiesigen Musikpresse inzwischen keine Interviews mehr, nur Fanzines können noch mit Bereitschaft zum ewig gleichen Frage & Antwort-Spiel rechnen. Fat Mike, der ‘King of Melodic Punkrock’ aus San Francisco ist nach langem hin und her schließlich doch bereit, nervende Fragen über sich ergehen zu lassen, man kenne sich ja und so. |
An einem Sonntagabend im November - in Frisco dürfte man eben den morgendlichen Kaffee aufgebrüht haben - habe ich Mike endlich am Apparat. Nach dem üblichen Smalltalk kommt von ihm der knappe, aber bestimmte Hinweis, daß dies hier das einzige Interview weit und breit sein werde. Wieso, weshalb, warum?, frage ich zurück. Andere Bands können den Hals doch gar nicht voll genug kriegen, wenn es darum geht, ihre Botschaften herauszuposaunen. Doch halt, ja, ich erinnere mich, schon im vergangenen Frühjahr hatte Mike düster vor sich hinbrütend im Bandbus vor dem Oberhausener Musikzirkus gesessen und sinniert, es würde wohl bald soweit sein, daß man sich der Musikpresse völlig verweigere. „Die meisten Interviews sind einfach todlangweilig und deshalb fingen wir irgendwann damit an, ganz bewußt nur noch Lügengeschichten zu erzählen“, beginnt Mike zu erklären. „Mittlerweile haben wir so viele verschiedene Stories in die Welt gesetzt, daß niemand mehr weiß, was daran nun stimmt und was nicht. Wir merkten, daß unser Leben einfach nicht interessant genug ist, um ausreichend Stoff für all die Interviews herzugeben, um die wir gebeten werden. Kurzum: Wir haben inzwischen alles gesagt, was wir zu sagen haben, also macht es keinen Sinn mehr, noch länger die immer gleichen Fragen zu beantworten.“
Das Green Day-Syndrom
Wir erinnern uns: Auch die hatten keine große Lust, zur Promotion des neuen
Albums endlose Fragelitaneien über sich ergehen zu lassen und absolvierten zur
Strafe für die ganz hartnäckigen Musikschreiberlinge zwischen Tür und Angel
der Kölner Sporthalle eine knapp gehaltene Pressekonferenz. „Ja, uns geht es
da ganz ähnlich“, bestätigt Mike meine Vermutung. „Wir wollen doch
eigentlich gar nichts von diesen ganzen blöden Blättern, sondern die wollen
was von uns. Nimm zum Beispiel ‘Bravo’: Denen haben wir klipp und klar
gesagt, daß wir keinen Wert darauf legen, in ihrem Blatt zu erscheinen. Die
haben von uns deshalb auch kein einziges Foto bekommen, aber irgendwie sind die
doch an ein paar Bilder rangekommen und haben daraus eine fette Story
gebastelt.“
Und dann, ganz nebenbei, läßt Mike eine Äußerung fallen, die man eigentlich
eher einem enttäuschten Fan der ersten Stunde zuschreiben würde: „Weißt du,
wenn du als Band so groß wirst wie wir, dann kommst du an einen Punkt, an dem
du nicht mehr cool bist und deine Credibility verlierst. Um auf Green Day zurückzukommen...“
- Mike liebt es, unvermittelte Gedankensprünge zu machen und sein Gegenüber
damit zu größter Wachsamkeit zu zwingen - „...die mögen zwar überall erzählen,
daß es ihnen ganz recht wäre, ein paar CDs weniger zu verkaufen, aber ich möchte
wetten, daß die alle, auch die Plattenfirma, stinksauer sind, daß vier Wochen
nach Veröffentlichung noch keine 500.000 verkauft wurden. Ganz ehrlich: Niemand
ist zufrieden, wenn er von einer neuen Platte weniger verkauft als von der
davor."
Soso. Diese Antwort provoziert natürlich, denn die
restriktive Interviewpolitik im Vorfeld des neuen No FX-Albums scheint genau
darauf abzuzielen. Nach diversen Festivalauftritten und Tourneen mit kaum einem
Auftritt unter tausend, zweitausend Zuschauern jetzt also der Rückwärtsgang.
Back to the roots? Was soll das? „Ganz einfach: Wir wollen nicht die nächsten
Green Day oder Offspring werden, eine Punkband, die von einem Tag auf den
anderen zu Megastars wird. Dafür sind wir zu lange dabei, sind von Jahr zu Jahr
immer ein bißchen größer geworden, und so zu wachsen, das ist o.k., denn dann
hast du Fans, die wirklich voll und ganz dabei sind und nicht nur Typen, die das
gutfinden, was gerade angesagt ist. Auf die Punkwelle haben wir definitiv keinen
Bock. Kannst du dich erinnern, wie das früher bei Metallica und Slayer war? Die
hatten eine ziemlich große Fangemeinde, ohne daß sie großartig durch die
Presse gegangen wären. Das finde ich cool, denn dann hast du Fans, die jedes
Jahr zu deinen Konzerten kommen und brauchst dich nicht um so einen Scheiß wie
Fernsehauftritte, Video-Airplay und Interviews kümmern. With No FX, it’s all
about being a band and not just a hip song.“
Also ist Verweigerungshaltung angesagt, der etwas krampfhafte Versuch, sich dem
absehbaren weiteren Wachsen der Band zu widersetzen. Mike: „Zur neuen Platte
wird es kein Video geben, keine Singleauskopplung, keine Interviews - mehr bzw.
weniger können wir wohl kaum tun, um so zu bleiben, wie wir sind.“
Dagegen spricht allerdings, daß sich schon das unlängst auf Mikes Label ‘Fat
Wreck Chords’ erschienene Live-Album mit bislang über 70.000 CDs verkauft wie
blöd und sogar fünf Wochen in den deutschen Verkaufscharts vertreten war. No
FX sind von diesem Erfolg auch einigermaßen überrascht, denn Live-Alben sind
ja zumeist nur Lückenbüßer, die veröffentlicht werden, um die Fans bis zum nächsten
Studiowerk bei Laune zu halten oder die kreative Krise einer Band zu verdecken.
„Wir haben uns damit wirklich Mühe gegeben“, meint Mike, „drei Abende
hintereinander im Roxy in Hollywood gespielt, die besten Aufnahmen ausgesucht
und zusammengestellt. Wenn schon ein Live-Album, dann ein richtiges.“ Eben,
denn beschissene Bootlegs kursieren eh schon viel zu viele und waren mit ein
Grund, warum sich No FX dazu hinreißen ließen, ein solches, in Punkkreisen
nach wie vor nicht unbedingt als notwendig erachtetes Werk an den Start zu
bringen.
No FX live
Wer meinen Konzertbericht anläßlich ihres letztjährigen Auftritts in
Oberhausen gelesen hat, weiß, was ich davon halte, wenn Punkkonzerte von
Unmengen Teenies bevölkert werden, die - voll Punk, ey - erstmal den
Merchandise-Stand leerkaufen und sich nach dem Konzert von Mami abholen lassen,
statt erstmal im Park ein paar Dosen Hansa zu kippen (Hiller ist übrigens als
gestandener Punkrocker zur Welt gekommen, d. Red.). „One thing first“,
kommentiert Mike: „Wir werden nie wieder in diesem Scheißladen spielen. Gott,
ich habe dieses Konzert gehaßt und will nie wieder eine Show dieser Größe
spielen! Der Sound war scheiße, es kam keine Stimmung auf, die Bühne taugte
nichts, es machte einfach null Spaß. Ich fühlte mich an dem Abend, als machte
ich nur einen Job und sonst nichts. Für die Zukunft haben wir uns vorgenommen,
keine Hallen über 1.500 oder 2.000 Leute mehr zu spielen.“
Wie bei den Plattenverkäufen zeichnet sich auch hier ein Dilemma ab, denn was
immer No FX tun, sie können niemanden davon abhalten, sie zu mögen. Die
deutschen Verkaufszahlen des Livealbums deuten in diese Richtung und so könnte
es in Zukunft öfter heißen „Sorry, sold out“. Fat Mike sieht darin kein
Problem: „Ehrlich gesagt ist es mir egal, ob alle Leute reinkommen. Wer zu spät
kommt, hat eben Pech gehabt und kann es im nächsten Jahr wieder versuchen.“
Bestechende Logik, die zudem einer Grundregel der
kapitalistischen Wirtschaftsweise entspricht: Bei starker Nachfrage das Angebot
verknappen und so die Attraktivität steigern. Steigern? Fuck, auch dieser Weg
scheint im Endeffekt nur dazu zu führen, No FX noch gefragter zu machen. Mike:
„Die meisten Bands meinen, sowas könnte man nicht bringen, die sagen ‘Hey,
wir sind einfach zu groß für diese und jene Halle’, aber das ist Bullshit.
Man muß sich diesem Druck ja nicht beugen.“
Eine mögliche Erklärung für den Erfolg von No FX ist, daß Mike und El Hefe
zwar wesentlich häßlicher sind als Take That, dafür aber tausendmal
unterhaltsamer. Hier stehen nicht vier gelangweilte Typen auf der Bühne, die
jeden Abend das gleiche Programm abspulen, sondern Entertainer, die das Publikum
miteinbeziehen. Mike: „Es ist eigentlich ganz einfach: Wir haben Spaß auf der
Bühne, ganz ehrlich, unterhalten uns mit den Leuten so ungezwungen, als ob wir
gerade zusammen in einer Kneipe wären. Es ist eine Show, aber auch wieder
nicht, denn wir sind ja wirklich so und unser Verhalten ist nicht aufgesetzt.
Ich denke, die Leute merken das, und wenn du überlegst, wie gut das in
Deutschland trotz der Sprachbarriere funktioniert, dann kannst du dir sicher
vorstellen, wie unsere Konzerte in den USA ablaufen.“
The Great Hype
Die Frage ist, wie lange die Punkachterbahn immer größere Höhen erklimmen
kann. Sicher ist, daß man irgendwann auch wieder am Ausgangspunkt ankommt. Der
No FX-Chef jedenfalls meint, daß man in den USA schon wieder über den Berg
sei, sprich: Es geht wieder abwärts. „I think it’s over. Es ist keine Band
mehr in Sicht, die ähnlich groß werden könnte wie Offspring und Green Day.
Eine zeitlang dachte jeder, Rancid würden diese Band sein, aber danach sieht es
derzeit nicht aus. Die haben riesige Vorschußlorbeeren bekommen, waren auf dem
Cover von ‘Spin’ und ‘Rolling Stone’, werden beinahe stündlich auf MTV
gespielt. Natürlich, die Verkaufszahlen sind zwar nicht schlecht, aber doch
weit hinter den Erwartungen zurück geblieben. Die neuen Punksuperstars wird es
also nicht geben, aber ich bin schon überzeugt, daß Green Day und Offspring
ihre Position halbwegs werden halten können. Die anderen Bands werden sich
daran gewöhnen müssen, daß für sie alles so weitergeht wie bisher.“
Ach ja, Schadenfreude ist bekanntlich die schönste Freude, so daß es mir als
Anhänger des Slogans ‘Corporate rock still sucks’ natürlich ziemlich reinläuft,
wenn Mike erzählt, daß Bands wie Face To Face oder Jawbreaker, die von den
Majors mit großen Erwartungen gesignt wurden, völlig floppen.
Zurück zu No FX. Hätte es sowas wie No FX-Aktien gegeben, die Anleger der
ersten Stunde hätten jetzt mit Sicherheit ausgesorgt. Klar, als „S&M
Airlines“ (An dieser Stelle muß ich übrigens den Kollegen Schaub
korrigieren, der verbreitete, die beiden Lettern stünden für „Santa
Monica“. Das tun sie mitnichten, sind sie doch vielmehr ein Kürzel für
gewisse sexuelle Vorlieben) 1989 erschien, waren 4.500 verkaufte Platten eine für
Punkbands geradezu schwindelerregende Zahl. Als 1991 „Ribbed“ folgte,
ergaben 8.000 in diesem Jahr vertickte Scheiben eine ganz ordentliche
Zuwachsrate. Richtig schwindelerregend wurde es mit „White Trash, Two Heabs
And A Bean“, das No FX in den 100.000er-Orbit katapultierte, und „Punk In
Drublic“ setzte sogar noch einen oben drauf.
Punkrock
Punk, das war schon immer mehr als „nur“ Musik, und im Lichte dieser von
jedem anders definierten „Punk-Ethik“ muß deshalb auch No FX’
Entscheidung gesehen werden, sich dem „Immer mehr“-Kreislauf entziehen zu
wollen. „Since I was a kid I always liked punk rock“, erklärt Mike, hat
aber Schwierigkeiten, sein Unbehagen in Worte zu fassen.
„Diese Musik war um so vieles besser als der ganze Kram,
der im Radio gespielt wurde. Jetzt wird selbst diese Musik im Radio gespielt und
jede Menge anderer Leute entdecken plötzlich Punkrock für sich. Aber das ist
es nicht mal, was mich nervt. Ich will einfach kein Rockstar sein, das ist
alles. Billie Joe kann nirgendwo mehr hingehen, ohne daß ihn tausend Leute
ansprechen und Autogramme haben wollen. Wozu das alles? Mit Band und Label
verdiene ich genug Geld, um gut leben zu können, ich brauche nicht noch mehr
Fans.“
Probleme mit kreischenden Teenies gebe es übrigens, wie Mike versichert, nur in
Deutschland und Japan, wobei es in Fernost allerdings richtig krass sei. „Die
Mädels dort rasten vollkommen aus. Das war richtig beängstigend: Hundert
Leute, die über mich herfallen, kreischen, nach mir grabschen. Eine Punkszene
wie in Deutschland oder den USA habe ich dort allerdings noch nicht erlebt. Die
Leute, die zu unseren Shows kamen, sahen eher ganz normal aus: Kaum Iros, keine
auffallenden Klamotten.“
Japan eben. Zum Rockstarsein gehören bekanntlich immer mindestens zwei: Der
Fan, der den Musiker vergöttert, ihm das Gefühl gibt, der Größte zu sein,
und der Musiker, der sich von dieser lächerlichen Verhaltensweise beeindrucken
läßt. „Absolutely right, yeah“, pflichtet Mike bei. „Das Problem sind
die Musiker, die sich tatsächlich für toll halten. Für mich zum Beispiel sind
und waren Bad Religion die beste Punkband überhaupt. Mittlerweile gibt es
allerdings ein paar Bands, die weitaus mehr Platten verkaufen und sich deshalb
unglaublich toll vorkommen, aber nicht halb so gute Songs schreiben können.
Musiker sind generell einfach Scheiße, ich meine, für wen halten die sich
denn? Es gibt nichts einfacheres, als ein Instrument zu nehmen und eine Band zu
gründen. Darauf braucht sich wirklich niemand was einzubilden.“ Wow, das sind
doch mal Worte von prophetischer Klarheit. Der normale Musiker freilich hat
Probleme mit solch selbstkritischer Analyse. Hält er sich für gottgleich und
hat dann auch noch Erfolg, liegt das nicht an Glück oder Zufall, sondern nur am
handwerklichen Können. Mike weiter: „Ich finde es übrigens wesentlich
schwieriger zu tippen als Gitarre zu spielen.“ Nun ja, so kompliziert ist das
doch gar nicht mit dem Zweifinger-Suchsystem...
‘Fat Wreck Chords’
Mike selbst kommt dann auf seine große Vorbildband Bad Religion zu sprechen,
mit deren früherem Kopf Brett Gurewitz ihn seit ein paar Jahren verbindet, daß
auch er vor geraumer Zeit ein Plattenlabel gründete, nämlich ‘Fat Wreck
Chords’. 1992 erschienen die ersten beiden Releases, No FX’ „The Longest
Line“-EP und „Trashed“ von Lag Wagon. Seitdem hat sich ‘Fat Wreck Chords’
(Wer’s noch nicht gemerkt hat: ‘Wreck Chords’ wird genauso ausgesprochen
wie ‘Records’. Unsere amerikanischen Freunde lieben eben Wortspiele dieser
Art.) nach ‘Epitaph’ und ‘Lookout’ zum angesagtesten und auch
kommerziell erfolgreichsten US-Punklabel entwickelt. „Äh, hm, ja“, stottert
Mike, und wenn er mir persönlich gegenübersäße, wäre er jetzt wohl knallrot
angelaufen. „Ja, doch, so sieht’s wohl aus. ‘Dischord’ solltest du nicht
vergessen, aber die sind derzeit auch nicht mehr so angesagt. Dafür wird man
von ‘Nitro’ sicherlich noch viel zu hören bekommen.“
Richtig, da war ja noch das Label von Offspring-Sänger Dexter Holland, das mit
Guttermouth und Vandals zwei verdammt gute Bands am Start hat. Im Hause ‘Fat
Wreck’ haben sich mittlerweile No Use For A Name und Lagwagon zu den
Zugpferden entwickelt, bewegen sich mit ihren Verkäufen an der
100.000er-Grenze, aber auch von „kleineren“ Bands gehen weltweit schon mal
30.000 CDs über die Ladentheken. Das Geheimnis seines Erfolges? „Puh, es fällt
mir wirklich schwer, dazu was zu sagen. Sagen wir ganz bescheiden: Ich mag jede
Platte, jede Band, die ich veröffentliche, und offensichtlich geht das vielen
Leuten genau so."
Erfolg & Verantwortung
Tim Yohannan, seines Zeichens Chef des größten US-Fanzines
‘Maximumrocknroll’ und wegen seiner radikalen Anti-Majorlabel-Einstellung
umstritten, vertritt seit Jahren die Position, erfolgreiche Punkbands und
-labels hätten die moralische Verpflichtung, das verdiente Geld wieder in die
Szene zurückfließen zu lassen, etwa durch die Gründung eines Labels. „Ich
halte das für eine schöne, aber auch sehr idealistische Sichtweise“, meint
Mike hierzu. „Lawrence Livermore von ‘Lookout Records’ zum Beispiel war über
Jahre hinweg eine echte Szenegröße, aber jetzt, da er mit Green Day wirklich
Millionen verdient hat, fragt auch keiner, was er eigentlich mit all dem Geld
macht. Was mich betrifft, so gebe ich meine Dollars sicher nicht direkt an die
Szene zurück, indem ich sie irgendwelchen armen Punks zustecke... - das heißt,
hey, ich habe neulich der Band All You Can Eat 500 Dollar gespendet! Die sind
zwar nicht besonders gut, haben sich aber in einer völlig verrückten Aktion
auf Welttournee begeben. Die wollen in Brasilien, Argentinien, auf den
Philippinen, in Hongkong, Japan, Australien und was-weiß-ich-wo spielen. Naja,
und ab und zu gebe ich den Leuten von Gilman Street ein paar Dollar, damit sie
ihre Miete bezahlen können.“
Der Gilman Street-Club in Berkeley ist einer der wenigen nicht-kommerziellen
Konzertorte in der Bay Area. Niedrige Eintrittspreise, grundsätzlich nur
All-Ages-Konzerte sowie ausschließlich freiwillige unbezahlte MitarbeiterInnen
machen den Laden zu einer absoluten Ausnahmeerscheinung im US-Musikbiz. Und es
gibt mit Sicherheit so gut wie keine kalifornische Punkband gleich welcher Größenordnung,
die nicht schon mal im ehemaligen Lagerhaus in der 924 Gilman Street zu Gast war
- Major-Bands ausgeschlossen...
Wirklich stolz ist Mike, so erzählt er mir, auf die Tatsache, daß mittlerweile alle seine Bands von den Plattenverkäufen und ihren Gagen leben können, also nicht mehr auf die üblichen „shitty jobs“ in Fastfood-Restaurants, Copyshops, etc. angewiesen sind: „Ich finde es einfach klasse, daß all diese coolen Leute nicht mehr arbeiten brauchen. So können sie mit ihrem Leben machen, was sie wollen. Das ist meine ganz persönliche Art, meinen Erfolg mit anderen Leuten aus der Szene zu teilen.“
Die Zukunft
Ob er irgendeine Vorstellung davon habe, was er in zehn oder zwanzig Jahren
machen werde, frage ich Mike. „Keine Ahnung!“, lacht der los, „Das heißt,
doch, ich denke, ich werde dann wahrscheinlich als Produzent arbeiten. Ich mache
das jetzt schon ab und zu und könnte mir durchaus vorstellen, sowas im größeren
Rahmen zu machen. Aber wer weiß, ich warte einfach mal ab, wie sich No FX und
‘Fat Wreck’ weiterentwickeln.“
Das neue Album
Es ist natürlich immer ein Problem, über eine Sache zu sprechen, die man nicht
kennt. Eine Band über ein Album zu befragen, von dem man noch keinen einzigen
Song gehört hat, das ist wie Trockenschwimmen. Egal, am vereinbarten
Interviewtermin war nicht zu rütteln, aber jetzt, da ich diese Zeilen hier
schreibe, kenne ich das neue Werk zumindest flüchtig und kann den Ausführungen
des No FX-Frontmannes durchaus folgen. „Was die Produktion betrifft“, erzählte
Mike nämlich, „so ist es wohl unser bisher bestes Album geworden. Wir haben
im ‘Razor’s Edge’ aufgenommen, einem ziemlich billigen Studio, das gerade
mal 40 Dollar pro Stunde kostet, uns dafür aber umso mehr Zeit genommen. Auch
sonst denke ich, daß es unsere bisher beste Platte ist, aber das ist wohl keine
sonderlich objektive Meinung, denn das denke ich schließlich von jedem neuen No
FX-Album. Wirklich objektiv gesehen sind wir aber mit jedem Album ein bißchen
besser geworden, und das ist jetzt sicher auch nicht anders. Andererseits gibt
es natürlich Leute, die sagen, wir seien seit ‘Liberal Animation’ immer
schlechter geworden, also muß das wohl jeder selbst entscheiden. Eines kann ich
aber mit Sicherheit sagen: Die neue Platte ist ganz anders als ‘Punk In
Drublic’: Wir sind hier poppiger geworden, aber damit meine ich jetzt nicht
zuckrig-süß, sondern, äh, ‘heavy pop’. Es geht eher in die Richtung von
‘White Trash...’, drücken wir es so aus. Die Songs sind im Schnitt länger,
und, fuck, keine Ahnung, was ich dir sonst noch erzählen soll.“
Weiter oben ging es schon mal um ihren Spaß an Wortspielen, und nach „Liberal
Animation“ (eine No FX-typische Provokation gegenüber den ‘korrekten’ „Animal
Liberation“-Leuten) sowie „Punk In Drublic“ („Drunk In Public“, das
Besoffensein in der Öffentlichkeit steht in den USA nach wie vor unter Strafe)
folgt mit „Heavy Petting Zoo“ der dritte Teil dieses Spielchens. Ein erklärter
Witz ist keiner, ich weiß, aber da nunmal nicht jeder des Englischen mächtig
ist, eine kurze Erläuterung: „Heavy Petting“, o.k., das versteht jeder,
aber ein „Petting Zoo“ ist mitnichten ein Rotlichtviertel-Phänomen, sondern
- ein Streichelzoo! „Auf dem Cover ist die Zeichnung eines Mannes zu sehen,
der ein Schaf befummelt“, erläutert Mike, und ich muß natürlich sofort an
die entsprechende Szene in Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen
wollten...“ denken. Aber halt, es kommt noch besser, denn die LP-Version kommt
mit einem leicht abgewandelten Cover, auf dem der gleiche Mann und das gleiche
Schaf in der „69“-Stellung abgebildet sind, der Titel lautet ähnlich
passend „Eating Lamb“, und nein, ich werde einen Teufel tun und erklären,
was DAS nun wieder heißen soll...
„Wir freuen uns schon jetzt auf die Reaktionen, ob das Album vielleicht sogar
irgendwo zensiert oder indiziert wird“, lacht Mike und freut sich wie ein
Schuljunge, der seinem Lehrer einen derben Streich gespielt hat.
Joachim Hiller für Visions